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Angststörungen mit alten und neuen Ansätzen therapieren

Phobien, Panikattacken, generalisiert – das Spektrum der Angststörungen ist vielfältig und groß. Auf therapeutischer Seite hilft es den Betrofenen, sich ihren Ängsten mittels Expositionstherapie zu stellen. Aber auch Psychopharmaka können in der Angstbewältigung unterstützend wirken. Die Angstforschung bietet Ergänzungen zu bewährten Therapien, aber auch neue Optionen.

Kognitive Verhaltenstherapie unterm
Elfenbeinturm: In der Routine gleichsam wirksam

Die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Interventionen für Angststörun- gen ist in vielen gut gemachten Studien belegt. So wird die kognitive Verhaltenstherapie in allen Leitlinien zur Angstbehandlung als Intervention der ersten Wahl genannt [Bandelow B et al. S3-Leitlinie Angststörungen. Stand 2021]. Dennoch sehen sich Psychotherapieforscher stets der kritischen Nachfrage gegenüber, ob das, was sie in perfekt kontrollierten Studien uni- versitärer Forschungseinrichtungen, also quasi im Elfenbeinturm, untersucht haben, auch auf den ganz klinischen Alltag übertragbar sei.

International und auch in Deutschland ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) am besten in der Ausbildung angehender Terapeutinnen und Terapeuten verankert und kommt insbesondere bei Angststörungen auch häufg zum Einsatz. Dass die dokumentierte Wirksamkeit (Efciency) aus randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) jedoch auch auf die Efektivität im echten Leben übertragbar ist (Efectiveness), können erfahrene Klinikerinnen und Kliniker vor allem durch persönliche Erfahrungswerte bestätigen, die Studienlage zur Routineversorgung ist bislang unübersichtlich, zumal vorliegende Übersichtsarbeiten nicht auf dem aktuellen Stand waren.

Die Metaanalyse von Öst et al. aus diesem Jahr beantwortet die Frage nun eindeutig: Die Efektgrößen von kognitiv behavioraler Angsttherapie in der klinischen Routine sind ebenso beeindruckend groß wie in RCT. Die therapeutische Veränderung innerhalb der behandelten Gruppen bewirkte eine Angstreduktion, primäres Maß des Fortschritts, sowie eine Reduktion depressiver Symptome, ein sekundäres Maß, das nicht unmittelbares Ziel der Intervention war.

Efektgrößen, Benchmarking und Qualität der Metaanalyse

Die Efektgrößen (Efect Size, ES) waren sehr groß für Veränderungen der Angst vom Beginn bis zum Ende der Terapie (ES=1,09), wobei Personen mit Panikstörung oder generalisierter Angststörung noch besser abschnitten als jene mit sozialer Angststörung. Damit glichen die Ergebnisse fast exakt den Werten, die für den Goldstandard, die RCT, ermittelt wurde. Auch die Remissionsrate im klinischen Setting unterschied sich nicht signifkant von der in RCT (52,3% vs. 49,1%). Ebenfalls war die Angstreduktion zum Zeitpunkt der Katamnese nochmals signifkant größer (ES=1,39), wie auch die Remissionsraten (58,7%). Ofenbar verfestigen sich die Efekte nach Behandlungsabschluss noch, und Betroffene erweitern ihren Bewegungsradius. Dies ist wahrscheinlich auch auf operante Mechanismen zurückzuführen, da Patientinnen und Patienten durch die verbesserte Teilhabe zahlreiche Verstärker für das Ablegen des angsttypischen Vermeidungsverhaltens erfahren [Alpers GW. New York: Springer Science+Business Media; 2010. S.209-30].

Die Qualität der vorgestellten Metaanalyse ist als außerordentlich hoch einzuschätzen. Über bisherige Analysen hinaus wurden alle Studien der letzten zehn Jahre miteingeschlossen. Wegen der hohen Praxisrelevanz wurden auch Studien mit zusätzlicher psychoaktiver Medikationstherapie zugelassen. Vor allem aber wurde der Fokus auf den Vergleich mit geeigneten Efcacy-Studien gelegt („benchmarking“): Insgesamt wurden 66 Efectiveness- mit 131 Efcacy-Studien verglichen. Neben dem Fazit, dass Routinebehandlungen ebenso effektiv sind wie kontrollierte Forschungs- therapien im universitären Setting, zeigt die neue Analyse unter Berücksichtigung der jüngsten Beobachtungen auch keine Abnahme der Wirksamkeit über die Jahre hinweg – was bei vielen anderen Interventionen der Fall zu sein scheint.

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Kommentar

Efektivität in der klinischen Routineversor- gung ist letztlich das, was zählt – gerade Angststörungen bedürfen einer angemessenen Versorgung, da sie hoch prävalent sind und häufg mit einer Komorbidität einhergehen; weltweit gehören Angststörungen zu den Erkrankungen mit den größten Einschränkungen für die Betroffenen [Baxter AJ et al. Psychol Med. 2014; 44(11):2363-74]. Zweifel an der Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis sind durchaus berechtigt, da sich Behandlungen in verschiedenen Settings unterscheiden können. Während klinische Studien Probanden selektieren müssen, halten sich Patientinnen und Patienten der Routineversorgung nicht an Vorgaben der Standardisierung. Sie können schwerer belastet sein, mehrere und unklare komorbide Diagnosen aufweisen sowie (im schlimmsten Fall) suizidal sein.

Auch die Therapeutinnen und Therapeuten können sich unterscheiden: In universitären Studienzentren sind sie oft jünger, aber umso besser im Verfahren trainiert. Auch die Einhaltung der Behandlungsmanuale werden dort streng kontrolliert. Für einen Überblick über die komplizierte Studienlage sind mächtige Metaanalysen bestens geeignet, da die Daten tausender Probanden aus mehreren Studien gemeinsam analysiert werden können. Bei der vorgestellten Metaanalyse ist bemerkenswert, dass der durchschnittliche Umfang an therapeutischen Sitzungen in der Routineversorgung durchschnittlich bei nur 11,5 Sitzungen beziehungsweise 17 Behandlungsstunden lag. Wird zusätzlich berücksichtigt, dass die Dauer der Behandlung mit der Wirksamkeit korrelierte, ist interessant, dass für ambulante Behandlungen in Deutschland mit zweimal zwölf Sitzungen für eine Kurzzeittherapie bereits ein größerer zeitlicher Rahmen zur Verfügung steht, der bei Bedarf als Langzeittherapie verlängert werden kann.

Eine Einschränkung der Analyse ist, dass in den untersuchten Studien Efekte als Veränderungen innerhalb einer behandelten Gruppe vom Beginn der Intervention bis zum Ende hin (oder zur Katamnese) quantifziert wurden. Dies ist die schwächste Art, die Wirkmechanismen einer Veränderung zu überprüfen. In RCT sind Vergleiche mit Wartelisten oder wirksamen Kontrollgruppen üblich – etwa ein Entspannungsverfahren. Bei solchen Vergleichen fallen die Efektgrößen weitaus weniger groß aus
[Leichsenring F et al. World Psychiatry. 2022;21(1):133-45].

Die Autorinnen und Autoren verteidigen ihre Herangehensweise jedoch mit dem Argument, dass sich die einzelne Patientin beziehungsweise der einzelne Patient natürlich für die zu erwartende Veränderung im Vergleich zu vor der Therapie interessiert. Jedoch repräsentieren auch in der dargestellten Metaanalyse alle Ergebnisse Mittelwerte über behandelte Gruppen hinweg. Somit ist die Metaanalyse nicht in der Lage, Auskünfte darüber zu geben, wer in der Praxis von den Interventionen proftieren wird. Solche Fragen zu beantworten, rückt aber zunehmend in den Fokus der aktuellen Forschung [Taubitz FS et al. Behav Res Ther.
2022; doi:10.1016/j.brat.2022.104116]. Obwohl das Training und die Versorgung in Deutschland gute Voraussetzungen bieten, ist doch darauf hinzuweisen, dass Lücken in der Versorgung bestehen.

Unser Fazit

Während es in einigen Gebieten der Medizin gelungen ist, durch die Etablierung wirksamer Therapien die Prävalenz der behandelten Erkrankung radikal zu minimieren, scheinen wir in der Psychotherapie noch weit davon entfernt zu sein [Ormel J et al. Psychother Psychosom. 2023;92(2):73-80]. Für eine bessere Dissemination der hoch efektiven kognitiv behavioralen Therapie bleibt also noch einiges zu tun. Und so schließen auch Öst et al. ihren Artikel mit dem entschiedenen Apell, wirksame Therapien möglichst voll-
umfänglich in die Routineversorgung zu übernehmen.

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Das Mental Health Institute (MHI) Berlin ist eine Privatklinik, die Menschen mit psychischen Problemen und Leiden moderne und wissenschaftlich seriöse tagesklinische und ambulante Behandlungen anbietet.