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Interview aus der Ausgabe 06/2022;23 des DNP

„Es ist gut, ein Präparat zu haben, das es zuvor nicht gegen Depression gab“

Neuer Ansatz kombiniert Dextrometorphan und Bupropion

Eine interdisziplinäre Aufgabe

Interview aus der Ausgabe 05/2022 des DNP

Die medikamentöse Behandlung der Depression ist breit aufgestellt, doch nicht alle Betroffenen sprechen auf sie an. Im August 2022 hat die FDA in den USA die Kombination von Dextrometorphan und Bupropion für mittelschwere bis schwere depressive Episoden zugelassen. Was bringt diese Kombination und wird sie auch für die EU kommen?

Im Gespräch mit DNP ordnet Professor Ion-George Anghelescu die Rationale hinter dem neuen Ansatz ein.

Hierzulande gilt Dextrometorphan als Hustenstiller. Wie gelang der Wechsel zum Antidepressivum?

Professor Ion-George Anghelescu: Bei Menschen mit normaler Leberfunktion wird Dextrometorphan schnell in seine Metaboliten verstoffwechselt, die dann den Husten stillen. Das nicht metabolisierte Dextrometorphan hat eine NMDA-antagonistische Wirkung, ähnlich wie Esketamin, das seit einiger Zeit als Antidepressivum zugelassen ist. Daher nahm man an, dass es antidepressiv wirken könnte, wenn es gelänge, die schnelle Verstoffwechslung zu bremsen, und das tut Bupropion, erfreulicherweise auch ein Antidepressivum.

Der First-Pass-Effekt wird also praktisch umgangen. Heißt das, zwei Antidepressiva gleich doppelter Effekt?

Anghelescu: Die Kombination wirkt auf jeden Fall besser als Bupropion allein. Ob Dextrometorphan allein wirksamer ist als kombiniert, wurde noch nicht evaluiert. In Studien wurden außerdem die Plasmaspiegel beider Substanzen nicht überprüft – Dextrometorphan hemmt nämlich seinerseits auch den Abbau von Bupropion. Dessen tatsächliche Konzentration könnte im Körper also höher sein. Sie sehen, das Thema hat pharmakologisch spannende Kniffe.

(Es)Ketamin als NMDA-Antagonist wirkt schnell antidepressiv. Gilt das auch für Dextrometorphan beziehungsweise die Kombination?

Anghelescu: Im Vergleich zu Placebo wirkt die Kombination bereits nach einer Woche signifikant besser, also vergleichsweise schnell [Iosifescu DV et al. J Clin Psychiatry. 2022;83(4):21m14345]. (Es)ketamin wird per Nasenspray oder intravenös verabreicht und kommt daher sehr rasch im Gehirn an. Bei einem nicht unerheblichen Anteil der Patientinnen und Patienten zeigt sich bereits nach einer Gabe eine Besserung. Unter Dextrometorphan/Bupropion würde ich das nicht erwarten – es muss ja erst über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden und noch durch die Leber. Für eine sehr zügige Wirkung ist die Dosierung auch nicht hoch genug. Zudem bedeutet Wirkeintritt nicht gleich Maximalwirkung: Diese könnte erst nach vielen Wochen eintreten, wie wir es von fast allen Antidepressiva kennen.

Aktuell ist das Kombinationspräparat in den USA für mittelschwere bis schwere depressive Episoden zugelassen. Gibt es weitere Indikationen?

Anghelescu: Es gibt Hinweise darauf, dass es auch bei Alzheimer-Unruhe sowie pathologischem Lachen und Weinen bei Pseudobulbärparalyse nach Hirnstamminfarkt hilft. Psychotische schwere Depressionen sind nicht untersucht, bei therapierefraktärer Depression gibt es meines Erachtens nur eine Studie, die noch dazu nicht über den gesamten Beobachtungszeitraum positiv war. Die Datenlage ist also noch zu dünn.

Wie wird das Präparat verabreicht? Wie viel Spielraum haben Ärztinnen und Ärzte bezüglich der Dosierung?

Anghelescu: In den USA ist gegenwärtig lediglich eine Fixdosierung zugelassen, nämlich 45 mg Bupropion und 105 mg Dextrometorphan [Tabuteau H et al. Am J Psychiatry. 2022;179(7):490-99]. Die Gabe erfolgt oral zweimal täglich morgens und mittags, möglich sind auch zwei Tabletten, also die doppelte Dosis, einmal täglich am Morgen. Dosisfindungsstudien existieren bislang noch nicht, sodass ich mich an die vorgegebene Dosierung halten würde.

In den Zulassungsstudien wurde die Kombination bislang nur über sechs Wochen verabreicht. Ist die Gabe auf eine bestimmte Dauer begrenzt?

Anghelescu: Meines Erachtens nicht. Ich würde mich an den Richtlinien zur Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe orientieren. Weiterhin wäre eine halbjährliche Kontrolle der Leberwerte auch bei asymptomatischen Personen nicht schlecht, da beide Substanzen zwar nicht hepatotoxisch sind, aber eben die Leber beanspruchen. Das ist allerdings nur eine persönliche Empfehlung meinerseits.

Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus und besteht die Gefahr einer Abhängigkeit durch den opioidartigen Charakter des Dextrometorphans?

Anghelescu: In einer randomisiertkontrollierten, doppelblinden Studie von Juli 2022 wurde eine gute Verträglichkeit beschrieben. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schwindel, Übelkeit, trockener Mund, Appetitabnahme und Ängstlichkeit [Iosifescu DV et al. J Clin Psychiatry. 2022;83(4): 21m14345]. Absetzphänomene und Abhän- gigkeitspotenzial wurden noch nicht hinreichend untersucht. Im Gegensatz zu etablierten Substanzen sind aber beispielsweise keine Gewichtszunahme oder sexuelle Funktionsstörungen beschrieben.

Zurzeit arbeiten Forschende an besser verträglichen Ketaminderivaten. Wären auch hier Kombipräparate denkbar?

Anghelescu: Im klinischen Alltag wird sehr oft kombiniert, ohne dazugehörige wissen- schaftliche Studiendaten. In den USA gibt es häufiger Fix-Dose-Studien und Zulassungen. Das ist bei uns eher unüblich. Daher wäre Dextrometorphan/Bupropion der Anfang von weiteren Kombinationspräparaten in Deutschland. Ich bin mir aber sicher, dass die Zulassung auch bei uns angestrebt werden wird. Was dann das AMNOG-Verfahren ergibt, steht auf einem anderen Blatt.

Wären denn auch andere Kombinationen mit Dextrometorphan möglich?

Anghelescu: Man müsste ein Antidepressivum wählen, das wie Bupropion den Abbau von Dextrometorphan hemmt. Duloxetin wäre so eine Substanz: Es ist wie Bupropion ein Cytochrom-P450-C2D6-Hemmer. Allerdings scheint Dextrometorphan schwach Serotonin-wiederaufnahmehemmend zu sein. Da dies eine starke Wirkkomponente von Duloxetin ist, könnte unter dem Strich zu viel Serotonin-Wiederaufnahmehemmung vorliegen, ich vermute es aber nicht.

Nun Ihre persönliche Meinung: Glauben Sie, dass viele Betroffene von dem neuen Medikament profitieren werden?

Anghelescu: Der Wirkmechanismus von Dextrometorphan/Bupropion ist interessant, das Ausnutzen der pharmakokinetischen Interaktionen gefällt mir. Es ist gut, ein Präparat zu haben, dass es zuvor nicht für die Depressionstherapie gab. Obwohl die Datenbasis bislang nicht breit ist, glaube ich, dass vielen Patientinnen und Patienten damit geholfen werden kann und für sie machen wir das ja. Daher begrüße ich alles, was gut untersucht, sicher und wirksam ist.

Die Fragen stellte Pamela Burandt.


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